Löhne sind ein heisses Eisen, da es nicht nur um die Existenzgrundlage geht sondern auch darum, ob ich mich als Mitarbeiter fair behandelt fühle in Bezug auf die eigene Leistung und im Verhältnis zum Erfolg des Unternehmens. Wer wie viel verdient, ist in der Schweiz eines der grössten Geheimnisse, über das kaum gesprochen wird. Lasst uns darüber sprechen und überlegen, wie wir das ändern können! Bei Apps with love haben wir ein eigenes Lohnmodell entwickelt, welches ich in diesem Artikel vorstellen werde.
Das Lohnmodell entwickelt sich laufend weiter, am Ende des Artikels werden die Updates jeweils ergänzt.
Lohnverhandlungen im Schattenkabinett
Eine Lohnverhandlung läuft immer ähnlich: Es wird verhandelt wie auf dem Teppichbasar. Wer selbstbewusst auftritt und sich gut verkaufen kann, hat gute Chancen auf einen höheren Lohn. Egal ob ein anderer nicht ganz so selbstbewusster Mitarbeiter vielleicht kompetenter ist. Nun, es wäre natürlich an dem Unternehmen, dies zu erkennen und faire Löhne zu vergeben. Trotzdem bleibt es eine eher undurchsichtige Sache, die auf Einschätzungen und Verhandlungsgeschick beruhen. Lohnsummen werden meistens gehütet wie ein Staatsgeheimnis und das fördert Spekulationen: Wer verdient wohl wieviel? Warum verdient die Person mehr als ich bei gleicher Leistung? In einem guten Team reden die Menschen miteinander und ab und zu auch über den Lohn. Am Ende wird das Unternehmen für unfair empfundene Löhne verantwortlich gemacht und diese latente Belastung schadet dem Team und dem Unternehmen.
Nachteile „normalen“ Lohnmodellen
Die Kriterien, warum andere mehr/weniger verdienen, sind nicht klar
Komplizierte und wiederkehrende Lohnverhandlungen
Klassische Lohnkriterien sind bewertungsabhängig und so auch diskutabel
Ungerechte Löhne sind möglich, da einige besser verhandeln als andere
Ungleiche Löhne zwischen Frauen und Männern
Zukünftige Ausgaben für Stellen können nicht geplant werden
Durch die individuell verhandelten Löhne ist Lohntransparenz schwierig
Egal wie hoch oder tief der Lohn ist, oft gibt es ein Ungerechtigkeitsgefühl
Eigene Lösungen passen besser
Wir haben uns mit Apps with love in eine Richtung entwickelt, in der wir unsere eigenen Regeln und Abläufe bestimmen, unsere Prozesse und Strukturen selber gestalten und optimieren. Wir bleiben dadurch innovativ, flexibel und lernfähig. Vor zwei Jahren haben wir die Geschäftsleitung abgeschafft und diese mit verschiedenen Entscheidungs-Boards ersetzt, bei denen sich alle Mitarbeiter an Entscheidungsfindungen im Unternehmen beteiligen können. Damit geht es uns heute besser denn je.
Über eines der Boards habe ich letztens einen anderen Blogartikel geschrieben. Auch unseren Arbeitsprozess haben wir selber entwickelt und in den Jahren weiterentwickelt. Nicht wir müssen uns an ein System anpassen, sondern wir müssen flexible Systeme entwickeln, die sich uns anpassen.
Als Unternehmen, welches an innovativen Lösungen arbeitet, fühlen wir uns verpflichtet, neu zu denken. Oft kommt man auf Lösungen, die es schon gibt. Was völlig ok ist. Aber manchmal findet man so auch neue Lösungen, die wirklich zu einem passen. Wie die Menschen sind auch Unternehmen ganz verschieden und starre Systeme und Abläufe stören die Arbeit und Unternehmenskultur.
Was macht ein faires Lohnmodell aus?
In den letzten Monaten habe ich mich intensiv mit unserem Lohnmodell auseinandergesetzt. Das Ziel war, ein faires Modell zu entwickeln, bei dem alle gleich behandelt werden und wir bei Apps with love keine Lohnverhandlungen mehr führen müssen. Wenn alle Löhne morgen am schwarzen Brett hängen würden, sollten alle noch problemlos miteinander arbeiten können. Zuerst dachte ich an Lohngleichheit, doch auch Gleichheit kann demotivieren. Alle Mitarbeiter unterscheiden sich was Erfahrung, Ausbildung oder Verantwortung angeht. Obwohl mit diesem Modell Lohntransparenz möglich wäre, ist das wichtigste an einem fairen Lohnmodell, dass jeder die Kriterien der Bewertung kennt und nachvollziehen kann. Es geht nicht um Lohntransparenz, sondern um faire und transparente Lohnkriterien.
Löhne sollten auch keine zu grosse leistungsbezogene Komponente haben, sagen Studien. Leistung hat mit Motivation zu tun und diese hängt mit der Kultur, Fairness, spannenden Projekten und der allgemeinen Zufriedenheit im Unternehmen zusammen – nicht mit der Lohnsumme. Motivation lässt sich auf lange Sicht nicht kaufen.
Ein zu simples System kann selten alle Mitarbeiter gerecht einstufen. Kriterien, welche zu viel Verhandlungsspielraum lassen, machen auch unzufrieden. Wir mussten Kriterien finden, welche für alle Mitarbeiter gleich sind, eine qualitative Aussage haben und nicht verhandelbar sind.
Das neue Apps with love Lohnmodell
Wir bewerten nicht mehr nach individueller Leistung, Verhandlungsgeschick und Einschätzungen, sondern nach Fakten. Unser neues Lohnmodell basiert auf einem Grundlohn für alle Mitarbeitenden und auf vier Kriterien, die den Grundlohn individuell erhöhen: Ausbildung, Treue, Verantwortung und Erfahrung.
1. Grundlohn
Alle Mitarbeitenden erhalten das selbe Grundeinkommen
2. Ausbildung
Art der Ausbildung
3. Verantwortung
Tätigkeitsbereich in dem hauptsächlich gearbeitet wird
4. Erfahrung
Berufserfahrung in einem im Unternehmen ausgeübten Fachgebiet
5. Treue
Jahre im Unternehmen ab Festanstellung mit Vertrag
6. Unternehmenserfolg
Das gesamte Team wird bei gutem Geschäftsgang am Erfolg beteiligt
7. Zusatzleistungen
Nicht monetäre Leistungen die das Unternehmen bietet
8. Orden
Auszeichnungen für herausragende Leistungen in verschiedensten Bereichen
Die Kriterien 2-3 erhöhen den Grundlohn schrittweise um einige hundert Franken. Im Lohngespräch werden die Kriterien gemeinsam durchgegangen und festgelegt, in welcher Stufe die Mitarbeitenden momentan sind. Der Grundlohn unterscheidet sich nur bei Quereinsteigern ohne Fachausbildung. Dieser geringere Grundlohn mutiert nach drei Jahren zum regulären Grundlohn.
Wichtig sind bei uns auch die nicht monetären Anreize wie 18 Wochen Mutterschaftsurlaub, 14 Tage Vaterschaftsurlaub, 6 Wochen Ferien, gleitende Arbeitszeiten, Homeoffice, Massage, Mittagessen, Weiterbildungen, Mitsprache im Unternehmen und vieles mehr.
Ein Ordensystem gibt uns die Möglichkeit spielerisch unsere gegenseitige Anerkennung auszudrücken und herausragende Leistungen zu belohnen. Diese Orden gibt es für herausragende Leistungen bei einem Projekt und für Treue zum Unternehmen. Zu den Jahresmedaillen die ab 3 Jahren das erste mal verliehen werden, hat man einen Wunsch frei, welcher vom Unternehmen erfüllt wird. Solche Dinge spielen eine grosse Rolle, das zeigen zumindest wieder einmal Studien. Im IBM Forschungszentrum in Zürich und in einem Callcenter wurde untersucht, was Ehrentitel bewirken. Das Resultat: Wer eine Auszeichnung erhält, der arbeitet nachher besser. Wer leer ausgeht, der arbeitet nicht schlechter. Bei diesem Ritual steht bei uns aber der Spass im Vordergrund.
Vorteile des neuen Lohnmodells
Keine Lohnverhandlungen mehr
Wir haben keine Lohnverhandlungen und Diskussionen mehr und wir bewerten Kriterien, die uns im Unternehmen wichtig sind.
Transparenz schaffen
Auch wenn wir nicht jeden Lohn ans schwarze Brett hängen, das Modell ist für alle das selbe und jeder kann ausrechnen, wie die anderen Löhne etwa aussehen. Der eigene Lohn kann über Jahre hinaus eingeschätzt werden, da sich der Lohn Jahr für Jahr entwickelt.
Besseres Arbeitsklima und Motivation
Da jeder mit dem Modell gleich eingestuft wird, muss man sich keine Gedanken mehr machen, ob jemand besser verhandelt hat. Es sind transparente und faire Kriterien, die für alle gleich angewendet werden.
Flexibilität erhöhen
Die Zahlen im Modell können angepasst werden. Geht es einem Unternehmen besser, kann entweder eine Erfolgsbeteiligung ausgeschüttet werden oder der Grundlohn angepasst werden. Auch andere Unternehmen können ihre eigenen Zahlen in das Modell einfügen und so eine massgeschneiderte Lösung bekommen.
Produktivität steigern
Die langen Lohnverhandlungen fallen weg. Lohnkosten können besser geplant werden und der Administrationsaufwand ist geringer.
Lohngerechtigkeit herstellen
Das Modell generiert die Lohnsumme, nicht die vorgesetzte Person. Die Lohnsummen haben sich so etwas angenähert, da es keine krassen Ausreisser mehr gibt. Es ergeben sich genderneutrale Löhne, die auf Kriterien basieren, welche für alle gleich sind.
Alternativen
Natürlich haben wir auch bestehende alternative Modell angeschaut wie z.B. ein Modell aus dem Silicon Valley, bei dem die Mitarbeitenden ihren Lohn selber bestimmen. Klingt im ersten Moment cool, aber die Lohnvorstellungen müssen vor dem ganzen Team verteidigt werden, was einen enormen psychischen und sozialen Druck erzeugt. Zudem fördert es Leute mit grossem Ego oder beliebte Mitarbeiter, die aber nicht zwingend bessere Arbeit leisten oder mehr Erfahrung mitbringen.
Weiterentwicklung 2017-2022
Dieses Lohnmodell nimmt den Arbeitgeber und die Teamleiter in die Pflicht, Bedingungen zu schaffen, in denen sich die Mitarbeitenden mit ihren Fähigkeiten und ihrer Motivation möglichst optimal entwickeln und entfalten können. Wer nicht motiviert ist und seine Leistung nicht abrufen kann, wird in diesem Lohnmodell "mitschwimmen" können.
Wir sind uns bewusst, dass diese Version noch optimiert werden kann. Gerade das erste Kriterium „Verantwortung/Tätigkeitsbereich“ ist noch nicht ganz frei von Grundsatzdiskussionen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass es verschiedene Verantwortungsstufen in einem Unternehmen gibt, obwohl jeder bei uns eine hohe Verantwortung trägt und jeder ohne den anderen kein gutes Ergebnis erzielen könnte.
2019
Wir haben eine weitere Kolonne eingeführt um die individuellen Ausbildungen miteinzubeziehen und wertzuschätzen. So gibt es neu Stufen für Höhere Fachschule, Bachelor, (PRO) CAS, Master und Dr. / PHD. Ausserdem wurden unsere Abzeichen als niederschwellige Leistungskomponente ins Modell integriert. Die Projektabzeichen werden durch das Team für besondere Leistungen in Projekten vergeben (+100.-), Treueabzeichen (Wunsch frei) werden nach 3, 5, 7 und 10 Jahren vergeben.
2021
Bei Awl möchten wir Mitarbeitende möglichst lange beschäftigen und so war das Lohnmodell auch darauf ausgerichtet Treue zu belohnen. Jeder Abgang schmerzt und jede Neuanstellung ist aufwändig, trotzdem haben wir uns 2021 dazu entschlossen ab dem 10 Jahr einen Booster für die persönliche Entwicklung einzubauen. Wir möchten unseren Mitarbeitenden die Möglichkeit geben neues auszuprobieren und vielleicht auch ganz neue Herausforderungen im Leben zu entdecken. Dafür haben wir für Mitarbeitende die 10 Jahre bei uns sind einen bezahlten Monat plus einen Bonus von CHF 10'000.- vorgesehen um etwas neues auszuprobieren, ein eigenes Startup, eine Auszeit oder sonst eine Horizonterweiterung. Dies soll die eigene Entwicklung fördern und dazu animieren etwas neues auszuprobieren.
Fazit
Ein insgesamt als fair empfundenes Entlohnungssystem ermöglicht bessere Teamarbeit und gute Teams ziehen gute Leute an. Die Lohnsumme für neue Mitarbeitende ist eher niedrig, doch die Lohnentwicklung ist klar ersichtlich. Sogenannte „top shots“ müssen wir anders überzeugen als mit rein monetären Anreizen.
Wir hoffen, auf diese Weise Mitarbeitende zu finden, welche sich mit unserer Unternehmenskultur identifizieren können. Mitarbeitende, die ihre eigene Work-Life-Balance bestimmen wollen und Mitarbeitende, welche durch die Transparenz bei Apps with love Vertrauen haben und mit gemeinsamen Kräften am Erfolg aktiv beteiligt sind und so auch die monetäre Lohnsumme für alle ansteigt. Egal wie hoch oder tief der Lohn ist, oft gibt es ein latentes Ungerechtigkeitsgefühl, welches wir den Mitarbeitenden von ihren Schultern nehmen konnten. Für unser Unternehmen bedeutet das, dass die Lohnkosten realistisch geplant werden können, untereinander stimmig sind und viel Zeit bei Lohngesprächen und Admin eingespart wird. Sicher ist unser Modell noch nicht perfekt, es gibt wohl auch kein perfektes Lohnmodell, aber es ist ein neuer Ansatz, der zu unserer Kultur und unseren Werten passt.
LESE TIPPS
„Mythos-Leistung - Das Lohn-Dilemma“
„Lohntransparenz: Tanz ums Tabu“
Update 2018
Nach einem Jahr Praxiserfahrung haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht mit dem Lohnmodell. Unterschiedliche Löhne zwischen Frauen und Männern gab es bei uns schon vorher nicht aber es ist auch für Kunden und neue Mitarbeitende gut zu wissen das Lohngerechtigkeit bei uns institutionalisiert wurde.
Wir haben Feedback der Mitarbeitenden gesammelt und die Version 2.0 unseres Modells erstellt. Der Grundlohn ist nun in drei Gruppen unterteilt um der Berufserfahrung noch mehr Gewicht zu geben, vom "Young professional" über "Professionals" bis zu "Seniors".
Wichtig war uns auch die individuellen Ausbildungen im Modell abzubilden da oft viel Zeit und Engagement in eine höhere Ausbildung investiert wurde.
Update 2020
Für unser Lohnmodell haben wir im Oktober 2020 den Swiss HR Award gewonnen! Es ist schön zu sehen, dass die kontinuierliche Arbeit an einer guten Firmenkultur, nicht nur von Mitarbeitenden und Kunden geschätzt, sondern auch ausgezeichnet wird. Wenn wir damit auch andere Unternehmen inspirieren können Fairness und Transparenz zu fördern und damit das gegenseitige Vertrauen zu erhöhen, dann haben wir das Ziel erreicht.
Sonia Sánchez und Till Könneker über die Unternehmenskultur und das Lohnmodell.