Das Lohnmodell im Einsatz - Interview
Ich habe drei unterschiedliche Betriebe, welche das Apps with love Lohnmodell für sich bereits adaptiert und in Betrieb haben, über ihre Erfahrungen und Herausforderungen befragt.
Pascal Fotsch vom Ingenieur- und Beratungsbüro für Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und Bauphysik, Lemon Consult AG
Tobias Castagna vom Nationalen Testinstitut für Cybersicherheit (NTC)
Graziella Eicher vom Zürcher Konzertlokal Moods
Till (Apps with love): Warum habt ihr euch dazu entschieden, das Apps with love Lohnmodell zu übernehmen und wie habt ihr es auf euer Unternehmen zugeschnitten?
Pascal (Lemon Consult): Eine klare Struktur im Baukastensystem (wie Legosteine), welche Orientierung und Transparenz über Verantwortungen schafft, wollten wir schaffen. Mitarbeitende werden nach Funktion, Ausbildung, Facherfahrung und Treue entlöhnt. Apps with love hatte hier eine wertvolle Grundlage mit uns geteilt.
Tobias (NTC): Es handelt sich um ein transparentes und einfaches Modell zur Festlegung der Löhne nach objektiven Kriterien. Alle wissen, welche Kriterien berücksichtigt werden und wie diese gewichtet werden. Die jeweiligen Löhne werden nicht bekannt gegeben, aber das Modell, nach dem sie festgelegt werden, ist transparent.
Graziella (Moods): Das Modell ist recht simpel und einfach nachvollziehbar. Es wurde auf unseren Betrieb so zugeschnitten, dass bei uns das, was wichtig ist, ins Zentrum gestellt wurde. Wir müssen auch am Abend arbeiten, somit ist bei uns der “Abendeinsatz” einer dieser Bausteine. Ebenso wird die Erfahrung mehr gewichtet als beispielsweise die Ausbildung.
Till: Welche Auswirkungen hatte die Übernahme und Adaption des Apps with love Lohnmodells auf die Rekrutierung neuer Mitarbeitenden und die Talentbindung?
Pascal: Wir haben viel ruhigere Situationen, wenn es um die Lohndefinition geht. Die potentiellen Kandidat*innen verstehen das Modell von Beginn weg. Bei grossen Gaps bleiben wir konsequent (auch wenn wir unbedingt jemanden brauchen) und diskutieren vielmehr über Funktionen / Rollen und Aufgaben. Das Modell ist ein erster Kultur-Kompatibilitätstest. Entweder es wird von potentiellen neuen Mitarbeitenden getragen oder eben nicht. Auch bei den MA-Entwicklungsgesprächen hilft das Modell als Orientierung sehr gut. Es wird über notwendige Entwicklungen gesprochen um eine nächste Funktionsstufe zu erlangen.
Tobias: Das Modell wird sehr gut angenommen. Damit werden willkürliche Lohnfestsetzungen vermieden.
Graziella: Neue Mitarbeitende haben sehr positiv auf das Lohnmodell reagiert. Sie wissen gleich von Anfang an, was sie erhalten und wie sich ihr Lohn zusammensetzt. Bis jetzt hatten wir dadurch auch keine Lohnverhandlungen. Aber es sprangen uns deswegen ab und zu auch Interessent*innen ab, weil es nicht ihrer Vorstellung entsprach und sie wussten, dass eine Lohnverhandlung keine Option ist.
Till: Hat sich die Einführung des Lohnmodells auf die Unternehmenskultur und Mitarbeitendenzufriedenheit ausgewirkt?
Pascal: Ich finde, dass die Einführung des Modells die Werte von Lemon gut abbildet und dadurch eine grosse Akzeptanz bei der Belegschaft hat. Insgesamt ist durch die Verlagerung der Diskussion von Lohnhöhe auf Funktion/Verantwortung viel Ruhe und Vertrauen eingekehrt.
Tobias: Bis jetzt gab es nur positive Rückmeldungen.
Graziella: Ja und nein. Einerseits ist Lohn nicht mehr so ein Thema bei den Mitarbeitenden, andererseits wird das Modell kritisiert – zu Recht. Es gibt noch Verbesserungspotenzial. Wir haben bei uns auch das Problem, dass wir als nicht-profitorientierter Betrieb nicht sehr hohe Löhne zahlen können, nicht jedes Jahr allfällige Teuerungen weitergeben können und somit die Unzufriedenheit über den Lohn bei einigen auch mit dem Modell weiterhin besteht.
Till: Welche Herausforderungen sind bei der Implementierung aufgetreten, und wie wurden diese bewältigt?
Pascal: Bei Differenzen (ursprünglicher Lohn höher als das Modell ergibt) haben wir ein Freezing eingeführt, also keine Rückstufung. In mehreren Schritten haben wir Zwischenstufen eingeführt und das Lohnmodell überarbeitet. So konnten wir eine schnellere Entwicklungszeit erreichen. Es bestand die Gefahr, dass die Mitarbeitenden zu lange keine Entwicklung machen, da die Lohnsprünge zu hoch sind.
Tobias: Wir wissen noch nicht, wie sich das Modell langfristig entwickeln wird. Wahrscheinlich müssen einige Parameter nachjustiert werden. Mit der Zeit werden wahrscheinlich gewisse Fälle auftreten, die das Modell an seine Grenzen bringen. Zum Beispiel, was passiert, wenn die Teuerung lange hoch bleibt? Oder was geschieht, wenn ein Quereinsteiger eingestellt wird, der fachlich top ist, aber im Modell nicht richtig abgebildet werden kann. Er kann alles, was verlangt wird, aber ihm fehlt die formale Aus- und Weiterbildung dafür. Wir sind aber überzeugt, dass auch solche Fälle lösbar sind.
Graziella: Als wir das Lohnmodell eingeführt haben, hat sich herausgestellt, dass einige Mitarbeitende vor der Einführung des Lohnmodells mehr verdient haben, als sie nach dem neuen Modell eingestuft waren. Also mussten wir bei der Einführung des neuen Lohnmodells Lohnkürzungen vornehmen. Wenn der Betrag nicht so hoch war, haben wir den Lohn eingefroren. Beides kam bei den Betroffenen nicht gut an, es kam dadurch auch zu Kündigungen.
Till: Warum wurde beschlossen, das bestehende Lohnsystem zu hinterfragen und nach einem neuen Modell zu suchen?
Pascal: Das gelebte Modell war sehr situativ (starkes Bedürfnis für Verstärkung ergab hohe Löhne) und zu individuell (abhängig davon, wer die Gespräche führte). Ziel war hauptsächlich Klarheit, Nachvollziehbarkeit, Einfachheit und Bezug zu Rollen und Verantwortung zu schaffen. Zudem wollten wir den Gendergap, welcher unbewusst über die Jahre entstanden war, schliessen. Gleiche Funktion soll gleich entlöhnt werden.
Tobias: Das Modell wurde bei der ersten Personaleinstellung eingeführt, so dass kein altes Modell ersetzt werden musste. Es war uns wichtig, von Anfang an ein transparentes System zu haben, um Lohnungleichheiten zu vermeiden. Ohne ein solches Modell ist es schwierig, langfristig faire Löhne in der gesamten Organisation zu gewährleisten.
Till: Wo seht ihr die Vorteile für die Mitarbeitenden und für das Unternehmen
Pascal: Klare Position, einfach verständlich, modular ausbau- und entwickelbar, flexibel - also «Lemon like».
Tobias: Faire und klare Kriterien, welche willkürliche Lohnverhandlungen überflüssig machen.
Graziella: Die Mitarbeitenden wissen ganz klar, was sie erhalten, wie sie mehr verdienen können oder was eine Reduktion für sie finanziell bedeuten würde. Sie können es schlecht oder gut finden, aber nachvollziehen können sie es und auch sicher sein, dass alle gleich eingestuft werden und nicht jemand mehr Vorteile hat bzw. einfach so mehr verdient.